Custombike selber bauen - Schraubertipp Teil 1-7 | MOTORRADonline.de

2021-12-30 13:57:19 By : Ms. Christina Zhou

Ein schnödes Brot- und Butter-Motorrad mit überschaubarem Budget, vor allem aber in Eigenregie schöner machen. In sieben Folgen begleiten wir unseren Autor auf dem Weg zum eigenen Custombike. In dieser Auftaktfolge beschreibt MOTORRAD-Schrauber Ralf Petersen die Grundidee und die Rahmenbedingungen für dieses Projekt.

Die Honda NTV 650, in Insiderkreisen liebevoll-ironisch auch "Ente" genannt, ist bekannt als typisches Brot- und Butter-Motorrad und wird vor allem wegen ihrer Zuverlässigkeit und ihren Alltagsqualitäten geschätzt. Sie bietet Solidität und Kardan-Antrieb, dazu ist sie sehr wartungsfreundlich und legendär zuverlässig. Ein Allrounder im besten Sinne, den aber selbst die eingefleischtesten Liebhaber nicht als Schönheit bezeichnen würden, also eher Typ hässliches Entlein. Im Gegensatz z. B. zu den im Moment überall zu sehenden BMW-Zweiventil-Boxern ist die NTV daher ein eher atypisches Modell für Umbauten. Umso reizvoller war für mich genau diese Idee. Wenn ich die Maschine zum Verkauf annonciert hätte, wären maximal 600 Euro ein realistischer Preis gewesen. Es ist also ein typisches Low-Budget-Projekt.

Von Anfang an war klar, dass die Maschine vor allem schlanker, klassischer und ansehnlicher werden sollte, inspiriert vom Stil der 70er-Jahre und in begrenztem Maße auch von der aktuellen Café-Racer-Welle. Bewusst setzte ich aber auch auf die Verwendung moderner Komponenten wie LED-Blinker und Klarglas-Scheinwerfer. Angedacht war eine moderat sportliche Sitzposition ohne Abstriche in Sachen Funktionalität. Das Motorrad sollte nach wie vor eine "Fahrmaschine" bleiben, auch für den Zweipersonenbetrieb geeignet. Werkzeugfach, eine einfach abnehmbare Sitzbank und der originale Ansaugtrakt standen ebenfalls nicht zur Disposition. Auch bei der Reifenwahl verzichtete ich auf das derzeit in der Szene angesagte grobstollige Profil und griff stattdessen zu den auf den ersten Blick zwar unspektakulären Continental Road Attack 3, die die guten Fahreigenschaften der NTV aber noch einmal signifikant verbessern.

Bei meinem ersten, vor vier Jahren gestarteten Youngtimer-Projekt, einer Honda Sevenfifty, hatte ich schon einige Erfahrung gesammelt. Klar wurde mir dabei, dass jeder Motorradumbau, wenn er sich vom Standard abheben will, ein besonderes Merkmal braucht, das der Maschine den rechten Pfiff verleiht. Im Falle der Sevenfifty war es eine Vier-in-vier-Auspuff-Anlage als Reminiszenz an die legendäre Ur-CB 750, also eine echte "Four".

Die NTV bietet im Grunde recht ordentliche Voraussetzungen für einen Umbau, denn der durchaus gut aussehende V2-Motor, die wirklich schön gemachte Kardan-Einarmschwinge und der moderne Brückenrahmen setzen klare Akzente. Aber irgendwie wirkt die Maschine etwas gedrungen, und der Rahmen führt zu einer Art Knick in der Optik, die mir nicht gefällt. Dieses Manko wollte ich daher durch eine möglichst schlanke und formschöne Verkleidung verdecken, am besten durch eine klassische Halbschale, wie sie bei der Ducati 750/900 SS verwendet wurde. Diese Halbschale wurde damit der Dreh- und Angelpunkt des Umbaus, bestimmte letztlich die Sitzposition und damit die Wahl des Lenkers etc. Das Gesamtbild verschönerte ich dann noch durch systematisches Abspecken von allen die Linienführung störenden Teilen und setzte weitere Akzente durch gezieltes Polieren.

Genauso wichtig wie die Umgestaltung der Form waren auch eine Grundüberholung sowie wichtige Verbesserungen bei den wenigen Technikschwachpunkten der NTV (Umbau der Bremsanlage, verbesserte Ergonomie durch Sitzbank- und Fußrastenaustausch).

Vor allem aber soll dieser Hobby-Umbau zeigen, was auch für Schrauber, die keine Profis sind, mit begrenztem Einsatz von Werkzeug und Ressourcen mit etwas Platz in der heimischen Garage machbar ist. Wichtig, damit so ein Youngtimer-Projekt nicht nur erfolgreich ist, sondern auch Spaß macht, sind je nach Umbauziel passende/ausreichende Schrauberkenntnisse und eine gute Werkzeugausstattung sowie ein nicht zu knapper Zeitplan. So ein Projekt braucht fast immer Zeit und Muße und muss sich entwickeln können. Pausen zur Materialbeschaffung und für die Suche nach adäquaten Lösungen sollte man also unbedingt einplanen. Nur selten lässt sich ein Anfangsplan vollständig umsetzen, und mir kommen die besten Ideen meist erst beim Schrauben. Ich würde daher die optimistischste Zeitannahme mit dem Faktor drei multiplizieren – dann sollte es halbwegs passen.

Sehr vorteilhaft ist natürlich auch ein angenehmer Platz zum Schrauben. In meinem Fall standen mir sowohl eine Garage (sehr angenehm im Winter) als auch ein sonniger Pavillon (perfekt im Frühjahr/Sommer) zur Verfügung. Bei größeren Umbauten ist vor allem die frühzeitige Einbeziehung von TÜV/Dekra sinnvoll. Hier sollte man sich unbedingt an einen der dortigen Motorradexperten wenden, die solche Projekte in der Regel sogar gerne begleiten. Bei besonderen Umbauten (z. B. an der Bremsanlage oder beim Auspuff) kommt es gegebenenfalls auch auf die Unterstützung der Teilehersteller an.

Meine NTV habe ich 1994 als Grau-Import für 8.200 Mark neu gekauft. Ihrem Ruf als unkaputtbares Qualitätsmotorrad wurde die Maschine stets gerecht. In den vielen Jahren gab es nur einen einzigen Ausfall (Plattenschluss der Batterie). Die NTV befand sich aber keineswegs im Originalzustand. Im Laufe der Jahre hatte ich bereits eine ganze Menge an Umbauten vorgenommen. Eine relativ wuchtige Pichler-Verkleidung, die aber ausgezeichneten Windschutz bietet, Gepäck- träger, Koffer und Topcase, ein Cockpit mit diversen Zusatzinstrumenten, Sturzbügel etc. hatten das Aussehen stark verändert. Technisch modifiziert wurde die Maschine durch K&N-Luftfilter, einen BSM-Auspuff aus Edelstahl, Klapptank, Schnellkupplungen für die Benzinleitungen sowie Faltenbälge an der Telegabel. Dabei galt eigentlich immer das Motto "praktisch und funktional, aber nicht unbedingt schön".

Nach 100.000 km erfolgte eine große Grund- überholung: Gabel, Zentralfederbein, Kegelrollen-/Radlager, Stahlflexleitungen etc. Vor knapp vier Jahren folgte noch mal das Federbein, dazu Vergaserstutzen und Membranen sowie die Kupplungslamellen. Der technische Zustand der NTV war trotz der hohen Laufleistung von über 190.000 km zum Beginn des Umbaus hervorragend. Die Kompression beider Zylinder ist fast identisch und entspricht den Sollwerten. Auch ein Ölverbrauch ist so gut wie nicht messbar. Optisch zeigte die Maschine dagegen einige Mängel. Zehn Jahre Laternenparkerei plus Dauereinsatz hinterließen deutliche Gebrauchsspuren, die vor allem auf den zweiten Blick auffallen. Gut also, dass es ihr jetzt in puncto "schön sein" an den Kragen geht.

Technische Daten: Flüssigkeitsgekühlter Zweizylinder V-Motor, 647 cm³, 39 kW (53 PS) bei 7.500/min, 53 Nm bei 6.500/min, Vergaser, Fünfganggetriebe, Kardanantrieb, Stahl-Brückenrahmen, Motor mittragend, Telegabel, Einarmschwinge aus Aluguss, Zentralfederbein, Reifen 110/80 H 17, 150/70 H 17, Tankinhalt 19 Liter, Verbrauch 6 Liter/100 km (Landstraße) Gewicht 212 kg, 0–100 km/h in 4,6 sek, Höchstgeschwindigkeit 176 km/h.

Marktsituation & Preise: Die NTV 650 Revere erschien erstmals 1988 und blieb bis 1997 im Programm. Circa 13.500 Stück konnten in diesem Zeitraum verkauft werden. Der V-Twin basiert in seinen Grundzügen auf der VT 500 von 1983, Kenner schätzen den robusten, nahezu un- kaputtbaren Aufbau – Motto läuft und läuft und läuft. Gebraucht war das nüchtern und pragmatisch aufgebaute Brot- und Butter-Motorrad einst ein Schnapper, inzwischen aber haben sich die Preise stabilisiert, und im top gepflegten Originalzustand können bis zu 2.000 Euro aufgerufen werden. Für ein Umbauprojekt sollte vor allem die technische Basis stimmen. Motor gesund, Fahrwerk fit, Lager top, Kardan dicht (kein Ölnebel)? Dann lassen sich Exemplare zwischen 700 und 1.000 Euro finden.

Der schönste Moment eines solchen Projekts ist natürlich, wenn alles fertig ist und wunschgemäß funktioniert. Aus dem hässlichen Entlein ist ein sehenswerter Schwan geworden, der stolz mit erhobenem Haupt durch die Gegend rauscht und sich häufig über anerkennende Kommentare freuen darf. Am meisten Spaß gemacht hat mir bei dem Projekt die stetige Weiterentwicklung, die Suche nach Ideen (vor allem im Netz) und das Lösen von Problemen. Entstanden ist so eine NTV der besonderen Art, ein Unikat, das oft erst auf den zweiten Blick auffällt und nicht nur optisch gelungen, sondern – für mich das Wichtigste – nach wie vor eine Fahrmaschine ist, mit der ich in nicht allzu ferner Zukunft gerne noch die 300.000-km-Marke erreichen möchte – natürlich mit dem ersten Motor!

Mit dieser Folge schlagen wir das große Kapitel "Fahrwerk" auf, das für...

Wenn nichts mehr hilft, schlägt die Stunde der Alleskönner.

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